Ich in
Griechenland, 2006
(js0681)
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"Was
wollen Sie mit diesem Bild sagen". Eine Frage über die der versierte Kunstbetrachter vielleicht
lächelt, welche sich aber trotzdem zur weiteren Reflexion lohnt. Die Frage
resultiert aus einer Eigentümlichkeit der Sprache, welche auf der
Unterscheidung von Medium und Sinn aufbaut. Das Medium in der Sprache wäre
zum Beispiel ein akustisches Signal, eine Silbe oder eine sichtbare Spur,
ein Buchstabe welcher aufgrund eines wiederholbaren Zusammenhangs
innerhalb der Strukturen Wort, Satz, Grammatik identifiziert werden kann.
Allein diese wiederholbaren Prozesse machen aber noch keine Sprache. Sprache
setzt nämlich immer schon einen vorhandenen Sinn voraus. Sinn hat nach
Niklas Luhmann nichts zu tun mit dem "fast vergessenen Sinn des
Seienden, seinen Wesensformen, den Ideen", sondern mit "Strukturen
nur für den momentanen Gebrauch zur Bewahrung von Selektivität und zur
Einschränkung von Anschlußfähigkeit". Das soll bedeuten, Sprache muß
über die pure Information hinaus als Mitteilung verstanden werden, um daran
dann an das Verstandene anschließen zu können. Sinn ist in diesem
Zusammenhang die Rekursion vergangener Selektionen im Hinblick auf einen gegenwärtigen
Zustand mittels Leistungen des Erinnerns und Vergessens. Durch dieses
Vorgehen ist Kommunikation als gesellschaftlich konstituierendes Medium möglich,
Luhmann würde sagen wahrscheinlich. Was aber haben diese grundsätzlichen
Betrachtungen über Sprache und Kommunikation mit meinen Bildern zu tun. Das
Vorhanden Sein wiedererkennbarer Formen im Gegenstand mag vielleicht zur
falschen Rezeption verleiten. Die Rekursion auf bereits Verstandenes
innerhalb eines direkten lebensweltlichen Zusammenhangs, zum Beispiel
Umweltzerstörung, liegt darum um so näher. Aber auch ein völlig ungegenständliches
Bild würde vielleicht als Ausdruck, zum Beispiel von Gefühlen,
interpretiert. Mit solchen Rekursionen haben aber meine Bilder nichts zu
tun. Selbst die Titel der Bilder werden nachträglich verliehen und sind
eher ironisches Beiwerk. Mir geht es vielmehr um ein unmittelbares Gefallen.
Also ganz anders als bei den von mir, ich glaube unübersehbar, geschätzten
Malern der Art Brut, also der Kinder oder Geisteskranken. Schon das Wort
Gefallen impliziert Beliebiges, ein kontingentes Spiel zwischen Lust und
Unlust. Rem Koolhaas analysiert in seiner architektonischen Beschreibung der
Bautätigkeit im River Delta im Hinterland von Hong Kong ähnliches, wenn er
sie nicht als das "Hinarbeiten auf ein Ideal, sondern das
opportunistische Ausbeuten von Zufallstreffern, Unglücksfällen und
Unfertigem" charakterisiert. Genau diese differente Reaktion auf die
entstehende Kontingenz ist aber das Geheimnis, welches meiner Meinung nicht
nur mit den tiefen Schichten des Unbewußten reduziert werden kann. Der
zweite Schritt setzt aber über das spontane Gefallen hinaus eine
Reflektion, quasi eine Beobachtung der eigenen Beobachtung, voraus. Es kommt
der wichtige Aspekt des Neuen als das eigentliche Kriterium für Kunst dazu.
Auch hier ist nicht ein sprachlich prozessierbarer "eigentlicher"
Sinn oder diverse Tabubrüche wie vielleicht bei einem Großteil der künstlerischen
Moderne gemeint. Das Neue kann im Detail der Darstellung, im Farbauftrag
oder in der Kombination verschiedener gegenständlicher oder ungegenständlicher
Bildelemente liegen. Das Neue ist vielleicht auch der Berührungspunkt mit
der Art Brut, deren wichtigste
Eigenart
das Nicht - Wissen ist, nicht nur im Bereich der Kunst, sondern auch im
Hinblick auf die Reduziertheit der Begriffe. Diese mangelnde Fähigkeit
Anschlüsse herzustellen korrespondiert oft mit einem verblüffenden,
zumindest im Malprozeß anzustrebenden Reichtum der Gesten. Die
Schwierigkeit beim Malen "Neuer" Bilder besteht jedoch, wenn man
wie ich kein Kind und nicht geisteskrank ist, in der Oszillation des
Nicht-Wissens, im Vergessen, während des Malvorganges und der
Auswahl
der Bildelemente anhand des Erinnerns, des Wissens um die Vorgängerkunst.
Auch wenn Sie das Neue in meinen Bildern nicht sehen können, werden sie
Ihnen, so hoffe ich, "gefallen". Über diese vielleicht auch nur
scheinbare Zufälligkeit dieses Gefallens, kann man sich aber mit sich und
anderen natürlich sinnvoll unterhalten, wobei sich der kommunikative
Kreis, die Differenz von Künstler und Betrachter, zu schließen beginnt.
Jürgen
Schönleber: Bilder 95 - 99, Regensburg 1999, S. 5
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Unter den Röcken,
2006 (js0682)
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