Maler der verschollenen Idyllen
Kunst Harte Arbeit vor dem Sonnensegel: Neue Bilder von Tilo Ettl
bei Dr. Erdel.
Von Helmut Hein, MZ
Regensburg. Durch die ganze Moderne geht ein Bruch – und Tilo
Ettl verkörpert ihn wie kaum ein anderer. Er begann vor 20 Jahren
als verstörter „enragé“, als ein im Innersten sanfter,
suchender junger Mann, der sich gern die Aggressions- und
Destruktions-Maske überzog. Er wollte der „bösen“ Welt den
Spiegel vorhalten, trug viel Rouge auf seine Blessuren, damit sie
schön leuchteten, baute grotesk-verstümmelte Maschinen aus
Schrott, die bei jeder Bewegung schrägen Krach,
verzerrt-unentzifferbare Stimmen der Qual von sich gaben und schrieb
Pamphlete, vor denen die Kunst-Bürger erschrecken sollten. Das
verlorene Paradies war bei den späten Nietzscheanern und
„Sadisten“, den „Maldoror“-Adepten der damals für viel
Aufsehen sorgenden Trash-Avantgarde-Gruppe „lyssa humana“
(menschliche Tollwut!) zum Reich der Psychosen und der permanenten
Paranoia verklumpt.
Die Bereitschaft zum, ja „Kitsch“
Und jetzt das! In der Galerie Dr. Erdel steht würdig und
soigniert der Künstler Tilo Ettl mit rotem Einstecktuch („das ist
kultiviert!“) und wird besungen von dem einstigen Verwalter des
Wiener Aktionismus-Erbes Arnulf Meifert, der offenbar auch genug hat
von all den verzerrten und versehrten Leibern der Traditionslinie
Bacon und Brus, von den dystopisch-wuchernden
Mensch-Maschine-Metamorphosen und sich einfach über die schönen
Bilder freut, die hinter ihm an der Wand hängen.
Auch diese Tilo-Ettl-Bilder sind verstörend – durch das
demonstrativ (Alt-)Meisterliche dieser Malerei, durch das ungenierte
Bekenntnis zur Arbeit an Farbe und Form, durch die blühenden
Arrangements aus Frucht- und Landschafts-Accessoires und
unschuldigsten Menschen, durch die Bereitschaft zum Idyll, ja zum
„Kitsch“, was Meifert positiv, als Kompliment meint, gebe es
doch „überhaupt keine Kunst ohne Kitsch-Anteil“. Prima vista
will Tilo Ettl überhaupt nichts mehr von Destruktion und
Dekonstruktion wissen, er verneint – was ein kleines Paradoxon
ist! – die Negativität, er will, in der Weltabgeschiedenheit des
von ihm selbst restaurierten Riesenhauses in der tschechischen
Provinz, in der Gegenwelt seiner Ateliers und Werkstätten, nur noch
schöpferisch sein, das, was er tut, bejahen, und sich um den Rest
nicht kümmern. Aber wie der große Musik-Verrückte Karlheinz
Stockhausen, von dessen Tod man in der Nacht nach der Vernissage erfährt,
bewohnt auch Tilo Ettl nicht nur sein ästhetisches Reservat.
In die Geduld und Gelassenheit des Traditionalisten, der seine
Vorbilder im Quattrocento findet und der ganzen Gegenwart und
keineswegs nur ihrem leerlaufenden Kunstbetrieb abhanden gekommen
ist, mischt sich die polemische Lust, die Verachtung für das, was
die anderen sind und was er selbst einmal war. Von Nietzsches
Diktum, dass, wer bereut, Verrat an sich übt, hat er noch nichts
gehört oder will er nichts wissen. Die „Bohème“ ist für ihn
nicht die harte Realität vieler Künstlerkollegen, sondern
„Getue“. Über seine Bilder will er, Goethe im Kopf, der ihm
auch an seinem Rückzugsort in Planá nahe Marienbad auf Schritt und
Tritt begegnet, nicht sprechen und redet dann doch darüber, wenn
auch nicht über deren Motiv-Zusammenhänge, ikonographischen
Bezüge, ihren „Sinn“, sondern über das handwerkliche Entstehen
dieser Natur- und Menschheits-Panoramen. Er will eine bestimmte
Farbe – und er kauft nur die besten, die leuchtendsten! –, einen
fernen Ton, einen Schatten und daraus entsteht die „Architektur“
einer Landschaft, einer Figur, einer Kleidung, eines Schuhwerks,
eines Stilllebens. Die Farbe und das Licht entscheidet; so wie für
den, der schreibt, die Musik in den Worten. Und daraus erst
entsteht, sekundär, das „Idyll“, eine konkret gewordene innere
Vision.
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Tilo
Ettl: „Lebende Bilder“ (2007), Öl auf Lw., 117
x 77 cmFoto: Erdel |
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Kaum je war in den letzten Jahren in Regensburg eine
Ausstellung zu sehen, die so betörend, so verstörend
schön ist. Die Bilder halten dem Blick stand; sie vergehen
nicht rasch unter ihm. Natürlich kann man Nachbarschaften
entdecken, von der Romantik über den Surrealismus bis zur
naiv-religiösen Kunst, natürlich kann einem Tilo Ettl wie
ein Balthus erscheinen, dessen Begehren, wie auch immer,
sediert ist, natürlich hat Meifert recht, wenn er en
passant und leichthin von „Psyche ohne Amor“ spricht.
Aber alle Assoziationen übersehen, dass Tilo Ettl die
postmoderne „Referenzhölle“ fürchtet wie jeder rechte
Kunstteufel das Weihwasser der kritischen Einordnung. Die
Bilder sollen als Bilder, rein für sich, existieren, nicht
als Repräsentation der Wirklichkeit, sondern als eine
eigene Welt – die man, ließe sich hinzufügen, so
zumindest noch nicht gesehen hat.
Bis 18. Januar in der Galerie Dr. Erdel, Fischmarkt 3.
Mi. und Fr. 16-19 Uhr oder: Tel. (0941) 702194.
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